OHNE MICH ...
... sagte die Frankfurter Rundschau zu ihrer beliebten Wochenend-Kolumne. Sie hieß
OHNE MICH und verteidigte mit spitzer Feder einen freundlichen Nonkonformismus.
2018 wurde sie aufgegeben. (Dann kam die Kolumne MEINE LIEBE MACKE,
auch mit Beiträgen von mir.) Hier mein letztes an die Zeitung gesandtes / nicht mehr erschienenes
OHNE MICH:
OHNE MICH - Joggen
Meine erste Liebe war so stark, dass ich krank wurde. Oder was ist das,
wenn man weder schläft noch isst? Meine Freundin und ich gingen täglich im
Park spazieren, immer im Kreis. Uns interessierte nichts außer uns. Und da
war nichts. Keine Menschen. Wenn ich dagegen heute im Park spazieren gehe,
habe ich Angst umgerannt zu werden. Umgejoggt. Ich habe das mal
recherchiert: Damals waren genauso viele Menschen im Park wie heute. Nur
gingen alle dasselbe Tempo. Jeder ging im Kreis, im gleichen Abstand zu
allen. Liebespaare nebeneinander, die anderen irgendwo anders. So eine
Ordnung zerfällt mit dem ersten Jogger. Und damit auch die Kultur.
Betrachten wir die Szene "Garten" aus Faust eins. Zwei separate Paare
drehen Runden in einem Garten. Intimität entsteht. Der Rest ist bekannt:
Geburt, Kindsmord, Hinrichtung, Himmel. Fängt in der Szene auch nur eine
der vier Figuren an zu joggen, ist die Intimität weg. Oder alle joggen,
dann bleiben die Paarungen intakt. Aber ehrlich: Welchen Reiz hat so eine
Intimität noch? Sie bleibt kinderlos - das Drama fällt aus. Okay, mit
meiner Freundin blieb es damals auch bei der Szene "Park". Aber die war so
schön, dass mir heute noch schwindelig ist, wenn ich dran denke.